#APE2016

APE 2016: Gestalter der Veränderung

Veröffentlicht in: unterwegs | 0

Traditionell ist die Konferenz zum Akademischen Publizieren in Europa, kurz APE, die erste Branchenveranstaltung des Jahres, die nicht nur eine Wasserstandsmeldung gibt, sondern auch die Aufgabenfelder für das neue Jahr bestimmt. Diese drei Tage in Berlin gehören auch für mich seit einiger Zeit zum Januar, quasi als etwas verspäteter Startschuss in ein neues Publishing-Jahr. Rückblickend (z.B. hier, hier und hier) finde ich es immer wieder interessant, dass sich doch etwas tut und wir Jahr für Jahr vorwärts kommen, auch wenn es sich mittendrin oft nicht so anfühlt.

In diesem Jahr war es höchste Zeit, mit der Tradition zu brechen, bevor sie zur Gewohnheit wird: Ich habe nur am ersten Konferenztag, der sogenannten Vorkonferenz, teilgenommen und bin am Dienstag zu einer Veranstaltung nach Bremen weitergereist. Zu meiner großen Enttäuschung zeigte sich auch die deutsche Hauptstadt nur in Puderzuckerschneemantel bei Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt, statt – wie erhofft und üblich – in zweistelligen Minusgraden und knöchelhohem Schnee.

Heyho, let’s go

Der APE-Montag stand unter dem Motto „Working on the (digital) Highway“ und in den Sessions wurde es wunderbar konkret: Wie arbeiten wir heute und wie können wir mit der sich so schnell verändernden Publishing-Branche mitwachsen?

Veränderte Arbeitswelt auch im akademischen Publizieren

Der erste Vortrag kam von Sanne de Kemp, Senior Consultant beim niederländischen Headhunter 227media. Sie erzählte von den veränderten und wachsenden Anforderungen, die potenzielle Arbeitgeber und Arbeitnehmer aneinander stellen. Ihre Erfahrungen unterstrich sie mit Studien. Demnach ist die Produktivität gestiegen, Menschen arbeiten härter als jemals zuvor. Kunden und Arbeitgeber fordern verstärkt und immer schneller Erfolgsnachweise. Gleichzeitig wollen Arbeitnehmern selbstbestimmter und flexibler arbeiten als früher, mehr Autonomie haben. Allein in den Niederlanden gibt es zurzeit bereits mehr als eine Millionen „Flexworker“.

In Deutschland haben wir da noch einen weiten Weg vor uns, wenn wir hier in Zukunft auch selbstbestimmter und zufriedener arbeiten wollen. Interessant fand ich, dass mich keiner der Punkte, die Sanne de Kemp vorbrachte, überraschte oder empörte (im Gegensatz zu anderen Anwesenden). Ist doch normal, dass man nicht nur viel arbeiten, sondern auch gut leben möchte; möglichst beides gleichzeitig. Ich gehöre wohl doch schon mit halbem Herzen zu den Millennials.

Zum Abschluss ihres Vortrags prophezeite Sanne de Kemp, dass die Publishing-Branche in den kommenden fünf Jahren so viele Veränderungen erleben werde, wie in den letzten dreißig Jahren zusammen. Denn ma tau!

Moderne Tagelöhner

David Thew berichtete von den Vor- und Nachteilen der Selbstständigkeit und der Arbeit mit externen Selbstständigen und kurzzeitig Angestellten. Interessant war für mich besonders die Sichtweise eines Unternehmens: Wenn Unternehmen kurzzeitig Freelancer beschäftigen, sich Experten als Verstärkung von außen holen, haben sie konkrete Projekte, für die sie jemanden brauchen, aber ihr Bedarf ist unmittelbar, spezifisch und zeitlich begrenzt. Sie minimieren das Risiko, kaufen sich Zeit und haben über die Kontakte und spezifischen Fähigkeiten des Externen regionale Vorteile. Dass all diese Vorteile flöten gehen, wenn der Vertrag ausläuft, scheint nicht relevant zu sein.

Die Vorteile für Vertragsnehmer sind natürlich, dass sie/er sich durch diese Art des Geldverdienens eine Atempause erkauft (zum Beispiel nach einer Festanstellung), derweil ihre/seine Fähigkeiten frisch und die Sichtbarkeit in der Branche hoch hält. Besonders attraktiv ist an dieser Art des Arbeitens natürlich die Flexibilität.

Wer sind eigentlich diese Nachwuchswissenschaftler?

Anthony Watkinson von CIBER steckt gerade mitten in einer Befragung von Wissenschaftlerinnen, die am Anfang ihrer Karriere stehen (sogenannte Early Career Researchers, ECR). Einige seiner Hypothesen stellte er vor, z.B. dass ECR gerne mehr soziale Netzwerke für wissenschaftliche Kommunikation nutzen möchten und eher Kompromisse bei der Qualität ihrer Quellen machen als gestandene Wissenschaftler. Sichbarkeit ihrer Arbeit scheint für diese Generation besonders wichtig zu sein. Grundsätzlich stellte Anthony Watkinson fest, dass Wissenschaftsverlage erstaunlich langsam bei der Anpassung an die Bedürfnisse der ECR seien.

Überraschend ist an dieser Studie für mich nicht die ersten Ergebnisse (die sind sehr interessant), sondern dass solch eine Untersuchung erst jetzt ernsthaft und im großen Stil angegangen wird. Es ist gut, dass wir mal vom Raten und Vermuten wegkommen und mit denen reden, über die wir sonst nur reden. Wichtig ist dann natürlich auch, dass wir diese Erkenntnisse in unser zukünftiges Handeln mit einbeziehen.

Change Management: Wie man einem Verlag auf den Kopf stellt

Ganz praxisnah erzählte Jan-Peter Wissink davon, wie er die Amsterdam University Press (AUP) in den letzten Jahren umgebaut hat. Das war für mich besonders spannend, denn als ich ihn zum ersten Mal traf, hatte er gerade seinen vorherigen Job gekündigt, um sich dieser Aufgabe zu stellen.

Das Wichtigste im Publizieren, so Wissink, ist, dass man Leute dabei hat, die es können. Er hat die AUP ganz schön aufgemischt, die Belegschaft von 33 auf 13 Mitarbeiter reduziert und dabei auch neue Leute von außen reingeholt. Das tut bestimmt weh. Jan-Peter Wissink berichtete, wie er sich mit der AUP auf die Kernkompetenzen eines Universitätsverlags besonnen habe und dabei auf wissenschaftliche Werte und Qualität, Servicedienstleistung an der wissenschaftlichen Gemeinschaft, Öffnung und Sichtbarkeit setze. Als Universitätsverlag müsse man nicht alle Sparten bedienen, sondern sich auf bestimmte Kernfächer konzentrieren, die dem Verlag das benötigte Profil geben. Wissenschaftsverlage sollten sich niemals dafür entschuldigen, dass Publizieren Geld kostet; Forschung und Lehre kosten schließlich auch Geld. Das ganze Gequatsche über Business Modelle sei übertrieben, findet Jan-Peter Wissink, aber nichts gehe über „Gehirn einschalten“.

Karriere bis zum Abstellgleis

Alexander Grossmann von Science Open stellte das Peter-Prinzip vor, das besagt, dass man so lange befördert wird, bis man die eigene Stufe der Unfähigkeit erreicht hat. In einem Unternehmen werden also früher oder später alle Management-Positionen von jemanden besetzt, der/die unfähig ist, ihre/seine Aufgabe zu erfüllen. Als Manager braucht man sowohl technische, theoretische, operative und methodische Kenntnisse, als auch eine bestimmte Einstellung und Sozialkompetenz – die man aber nicht gut nachweisen oder vorab testen kann. Alexander Grossmann zeigte auch eine Alternative bzw. einen Ausweg aus dem Peter-Prinzip: Statt gute Leute durch Beförderung zu belohnen sollte erst einmal über eine bessere Bezahlung nachgedacht werden.

Lebenslanges Lernen

Aus dem Alltag beim Mediacampus berichtete Judith Hoffmann. Für Verlage sei es wichtig, die Mitarbeiter kontinuierlich weiterzubilden (Stichwort CPE: continued professional education). Das sei zum einen eine personalpolitisch-motivierte Entscheidung; Zum anderen bringe Fortbildung aber auch Innovationen und Erfolge in einem Unternehmen voran. Besonders beliebt machte sich Judith Hoffmann, als sie feststellte, dass ihrer Meinung nach STM-Verlage schneller auf Veränderungen reagierten als andere Verlage.

Sich den Veränderungen anpassen

Joris van Rossum stellte in seiner Präsentation zum Thema „How to adapt to a changing world“ seine neue Plattform peerwith vor, die Wissenschaftlerinnen einen Marktplatz für Publikationsdienstleistungen (wie Korrektorat, Grafiken, Satz oder Druck) bieten soll. Spannend finde ich den dahinterliegenden Gedanken, dass Akademikerinnen und Akademiker eher ihre ganz eigenen Plattformen (wie Research Gate) brauchen und nutzen, statt mit vorhandenen (wie LinkedIn) zu arbeiten. Diese These bekam ich übrigens gleich am folgenden Tag bei einem Gespräch mit einer Uni-Professorin in Bremen bestätigt.

Die Peer Review-Krise – und wie wir da wieder rauskommen könnten

Zum Abschluss des Konferenztages widmete sich Catherine Cotton von der FEMS (Federation of European Microbiological Societies) der Krise im Peer Review (also dem wissenschaftlichen Begutachtungsprozess). Die Krise bestehe darin, dass es immer mehr zu begutachtende Artikel gebe, die Anerkennung für die Begutachtung aber stetig sinke. Sie forderte, dass Peer Review als professionelle Leistung anerkannt wird. Um alle vorhandenen Innovationen in diesem Bereich zu stärken und voranzubringen, sei es wichtig, dass alle Beteiligten sich besser vernetzten und zusammenarbeiteten. Das konkrete Ziel dieser Zusammenarbeit, also die beste Methode des Peer Reviews, starteten dann einer hitzige Debatte, die mal wieder zeigte, wie unterschiedlich und unversöhnlich die Positionen dabei sind. Ein guter Auftakt für das gemeinsame Nachkonferenz-Bier.

Fazit

Deutlich wurde an diesem Tag, dass wir die Vorstellung eines Jobs bis zur sicheren Rente getrost komplett vergessen können, weil unsere Branche so sehr in Bewegung ist. Stattdessn ist lebenslanges Lernen wichtig, um mit den Veränderungen Schritt halten zu können und mitzuwachsen. Nichts ist so beständig wie der Wandel, wusste schon Heraklit; und dieser Wandel beschleunigt sich mehr und mehr. Erfahrung kann hierbei sogar zu einer Last werden, wenn sie den Blick auf nötige Veränderungen verhindert und Innovationen blockiert. Flexibilität, Offenheit, Kreativität, Mut und die Bereitschaft zu lernen sind die Fähigkeiten, die nicht nur unsere Branche braucht, um Bestehen zu können. Bisher entstehen Innovationen selten in den traditionellen Verlagshäusern, die nach wie vor sehr unbeweglich scheinen, sondern sie erwachsen aus frischen Start-Ups und ganz neuen Unternehmen. Dieses disruptive Potenzial mit der Marktmacht der großen Verlage zusammenzubringen, um Gestalter der Veränderung sein zu können, anstatt ihr nur hinterherzuhetzen, ist eine Herausforderung, der wir uns immer mutiger stellen müssen.