Teil des Sternenhimmels (~280°) bei Brandenburg an der Havel um Mitternacht

Gebrauchsanleitung für Trauernde

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Wir haben den Tod so gut wir können aus unserem Alltag verbannt. Das fällt uns spätestens auf die Füße, wenn mal jemand in unserem Bekanntenkreis stirbt und viele nicht wissen, wie sie damit und mit den Hinterbliebenen umgehen sollen.

Mit diesem Beitrag möchte ich euch die Berührungsängste mit Trauernden nehmen. Ich spreche hier nicht für alle Trauernden dieser Welt. Jeder trauert anders! Tatsächlich spreche ich hier nur für mich und aus meinen viel zu zahlreichen Erfahrungen – und den Gesprächen mit anderen Trauernden. Der Einfachheit halber und weil sich so viele Menschen Halt und Hilfestellung wünschen, und weil diese Ratschläge genauso gut sind wie gar keine Ratschläge, spreche ich hier von „den Trauernden“.

In einem konkreten Fall kommt es natürlich auch auf euch, die Trauernden und euer Verhältnis zu ihnen an! Ihr könnt selbst am besten einschätzen, ob meine Gebrauchsanleitung für eure Praxis taugt. Das Wichtigste: Habt keine Angst, etwas Falsches zu machen! Still halten und warten bis alles vorüber ist, ist das einzig Falsche. Seid ehrlich und authentisch. Seid rücksichtsvoll. Hört auf euren Bauch!

Grundsätzliches

Es gibt nicht die richtigen Worte

Kaum einer ist ein Sterbeprofi. Oder ein Poet. In der Kategorie Trauernachricht werden keine Kreativitätspreise vergeben. Zu schreiben: „Mir fehlen die Worte“ ist völlig okay, es geht eigentlich allen so. Nicht wissen, was man sagen soll und sich trotzdem melden, ist gut. Bestürzung, Fassungslosigkeit, Sprachlosigkeit sind gut, weil sie ehrlich sind. Falls euch was Besseres einfällt – super; aber auch beim fünfzigsten Mal fand ich „es tut mir so leid“ nicht abgedroschen.

Es gibt die falschen Worte

Durchhalteparolen á la „Kopf hoch“ und „nur Mut“ sind für Trauernde deplatziert. Gutgemeinte Ratschläge wie „Du musst nach vorne schauen“ sind in der ersten Zeit der Trauer schwer zu ertragen. Sie geben dem Trauernden nur das Gefühl, dass er nicht ernst genommen wird. Die Zeit der Dankbarkeit kommt – aber nicht am Anfang der Trauer.

Akzeptiert, dass ihr nicht trösten könnt

Auch nett gemeinter Trost ist in der ersten Zeit wie Hohn. Es gibt meistens keinen Trost. Nehmt Trauernde in ihrer Trauer ernst. Lasst sie weinen, lasst sie schweigen. Haltet das Leid aus. Haltet aus, daneben zu sitzen und nichts anderes machen zu können. Gestattet euch selbst eure Trauer. Akzeptiert, dass das Leben so ist.

Verschont die Trauernden mit eurem Alltag

Ablenkung ist nett gemeint und auch wenn Trauernde fragen „Und wie geht’s dir?“ – sie wollen es am Anfang nicht wirklich wissen, sie betreiben auch nur Konversation. Sie haben gerade genug mit sich zu tun. Eure Arbeitsprobleme wollen Trauernde genauso wenig hören wie euren Beziehungsstress oder wie niedlich euer Enkelkind ist. Konversation kann gut sein, aber bitte, bitte erschlagt die Menschen nicht mit eurem Alltag.

Wie ihr helfen könnt

Denkt an das leibliche Wohl der Trauernden

In der ersten Zeit der Trauer hat man keinen Appetit. Immer wieder habe ich vergessen zu essen und wenn ich mir überlegen solle, was ich essen könnte, erschien alles unattraktiv. Zum Einkaufen muss man außerdem unter Menschen – ganz schlecht. Bringt Trauernden – nach Absprache! – also ruhig Essen bzw. fertige Mahlzeiten vorbei: Gemüsesuppe, Pizza, Salat, Brötchen/Brot mit Belag, Saft, Kekse. Nichts Ausgeflipptes, kein Fünf-Gänge-Menü. Es geht um Basis-Versorgung. Erwartet keinen Enthusiasmus; Es schmeckt wahrscheinlich grad eh alles gleich.

Lasst euch vollheulen

Das meine ich wörtlich. Wenn es eure Beziehung zulässt, nehmt diejenige oder denjenigen in den Arm – wenn das okay für sie/ihn ist. Mit das Netteste, was jemand zu mir gesagt hat, als ich mich aus der Umarmung löste und etwas verschämt sagte: „Jetzt hab ich dich nassgetropft!“ war: „Pfff, gar kein Problem! Ich werde den ganzen Tag vollgesabbert: Ich habe zwei Kinder.“ Merke: Tränenrotz ist wasserlöslich.

Trauert mit

Lasst es nicht ausarten, aber weint ruhig mit, wenn euch danach ist. Erlaubt euch eure eigene Trauer. Niemand muss in Trauer stark sein. Es ist schön zu sehen, wenn die Tote geliebt und vermisst wird. Geschichten und Erinnerungen mit dem Toten sind tröstlich, denn sie zeigen, dass derjenige einen Einfluss auf die Welt hatte. „Ich muss immer daran denken, wie …“ oder „Weißt du noch, als …“ können Lichtblicke und Gründe zum Lächeln sein (aber bitte erzählt nur in sehr ausgewählten Zusammenhängen Saufgeschichten oder ähnliches). Wenn ihr die Verstorbene nicht kanntet, lasst euch von ihr erzählen.

Geht hin

Der erste Schritt ist der schwerste. Unternehmt ihn so bald wie möglich. Je länger ihr wartet, desto schwieriger wird es. Lasst nicht zu, dass der Tod auch eine Mauer um die Lebenden baut! Besucht die Trauernden ruhig, aber fragt vorher nach, ob es passt und: Bleibt nicht so ewig! Wenn ihr nicht hingehen könnt, ruft an, schreibt. Auch die Beerdigung ist viel leichter, wenn man sich den Trauernden so wieder verbunden fühlt und die erste Begegnung nicht am Grab stattfindet.

Geht mit

Vielleicht gibt es einen Behördengang, bei dem ihr helfen und begleiten könnt? Oder eure Unterstützung beim Auswählen des Grabschmucks ist gewünscht? Oder beim Sarg? Aber haltet euch im Hintergrund und übernehmt nicht ungefragt Entscheidungen. Vielleicht könnt ihr auch einfach nur als Taxi(-Fahrer) behilflich sein?

Seid da!

Auch wenn ihr fern seid, seid da für die Trauernden. Das könnt ihr einmal schreiben, aber überzeugender seid ihr, wenn ihr nach ein paar Tagen einmal nachhakt. Mir haben die paar Freunde, die konkret nachfragten, wie es mir ging und die Antwort ertrugen, sehr gut getan. Wenn ihr schreibt, stellt klar, dass derjenige nicht antworten muss, aber schreibt ruhig, wenn ihr an ihn denkt. Macht den ersten Schritt, bleibt im Gespräch und lasst Trauernde nicht alleine. Denkt aber dran, dass sie trotzdem Zeit für sich und Stille brauchen. Der Grad zwischen „nerven“ und „kümmern“ ist dann gar nicht so schmal wie er scheint.

Seid immer noch da

Auch wenn bei euch längst wieder Alltag eingekehrt ist und ihr nicht mehr an den Todesfall denkt, der Trauernde ist immer noch fern von Normalität, weil die Tote nach wie vor fehlt. Trauer hört nicht auf, wenn die Tränen scheinbar versiegen und Trauernde wieder funktionieren. Erlaubt der Trauernde ihre Trauer, auch wenn ihr längst damit fertig seid. Besucht sie zum Beispiel in der nun so leeren Wohnung oder verabredet euch (ruhig öfter als vorher).

Fünf Praxis-Ratschläge, nicht nur für Dienstleister

  1. Wenn jemand eine Traueranzeige aufgeben will, möchte sie nicht rumdiskutieren, ob da eine Null zum März kommt oder ob das Deko-Bild verzerrt ist. Wenn die Trauernde eine Meinung hat, macht einfach, was sie sagt. Sie zahlt ja auch dafür.
  2. Jemand, der mit einer liebevoll gestalteten Vorlage in die Druckerei kommt, möchte nicht wissen, dass Querformat für eine Trauerkarte „aber gar nicht üblich“ ist. Auch welche Umschläge gerade „viel beliebter“ sind, ist ihm egal. Macht einfach, was derjenige sich wünscht. Er hat sich dabei etwas gedacht. Und außerdem zahlt er dafür.
  3. Im Warteraum des Ortsgerichts sollte an dem Tag, an dem die Todesfälle vorverwaltet werden, ausnahmsweise nicht laute Gute-Laune-Musik laufen. Trauernde kommen aus ihrem leisen Vakuum und wollen weder überdrehte Elektromarkt-Werbung noch „Tears in heaven“ ertragen müssen. Ehrlich nicht.
  4. Wenn jemand 53 Umschläge mit schwarzem Rand an der Seite in eurer Postfiliale abgegeben hat, verkneift euch Abschiedsfloskeln wie „fröhliche Weihnachten“, „schönen Abend noch“ und „einen guten Rutsch“. Bitte!
  5. Ein Trauerbesuch muss nicht länger als 30 Minuten dauern und sollte spätestens abgebrochen werden, wenn die Trauernde nach zwei Stunden aus lauter Verzweiflung anfängt, den Tisch abzuräumen.

Bildnachweis:
„Teil des Sternenhimmels (~280°) bei Brandenburg an der Havel um Mitternacht. Panoramabild aus 14 Einzelbildern.“ von Mathias Krumbholz, CC BY-SA 3.0. Übrigens das Motiv auf der Trauerkarte meiner Schwester.