Vorsicht Buchmesse

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die Ruhe vor dem Sturm
die Ruhe vor dem Sturm

Erstaunlich, dass das in der letzten Woche erst meine zweite offizielle Leipziger Buchmesse war. Es fühlte sich an wie nach Hause zu kommen. Das mit dieser Buchbranche und mir wird auch immer schlimmer …

Aber der Reihe nach: Freitagmorgen um halb fünf aufzustehen ist nur dann ein Spaß, wenn es zum Klassentreffen auf die Buchmesse geht. Aber auch dann hält sich der Spaß in Grenzen. Besonders, wenn der Tag mit den Abenteuern der Deutschen Bahn weitergeht. Da hilft nur, eine liebe Vertriebskollegin im Zug zu treffen und die Zeit bis zur Messe durchzuquatschen.

mit Vorsicht zu genießen
mit Vorsicht zu genießen

Kaum angekommen, konnte ich – nachdem ich die Schlange an der Garderobe überwunden hatte – Vorsicht Buch live bestaunen, die brandneue Kampagne für … – ja, für was eigentlich? Für mehr lesen? Für ein cooles Image des gedruckten Buches? Für den lokalen Buchhandel? Groß und geheimnisvoll angekündigt, erscheint die Kampagne nun hölzern, altbacken und leidenschaftslos. Auch ist sie mit ihren Plakaten, Luftballons, Lesezeichen und Ansteckern wohl eher auf die Bedürfnisse und das Wohlbefinden der Buchhändler ausgerichtet als auf die Zielgruppe, die wir mit so einer Kampagne eigentlich im Auge haben müssten: die (potentiellen) Leser. Wie dem auch sei: Ich bin ganz offensichtlich nicht die Zielgruppe dieser Kampagne und deshalb muss sie bei mir auch nicht funktionieren. Ich vertraue aber darauf, dass sie bestimmt dort funktioniert, wo sie wirken soll.

Spannend war für mich in diesem Jahr besonders, wie Verlage bei einer so deutlich auf das Print-Buch ausgerichteten Messe ihre E-Books präsentieren. Einige hatten Print on Demand-Ausgaben ihrer besten Titel dabei und reihten sich so fast nahtlos in die „normalen“ Print-Verlage ein. Andere stellten leere DVD-Hüllen mit improvisierten Covern in die Regale oder brachten einfach Leseproben, Flyer und Plakate mit, um auf ihre Titel aufmerksam zu machen. Diese individuellen Lösungen machen Spaß, auch wenn (und vielleicht sogar weil) manche ein bisschen sehr improvisiert und selbst gemacht wirkten. Sie zeigen, dass wir weiterhin auf der Suche nach dem geeigneten Offline-Marketing unserer digitalen Publikationen sind. Ob die Buchmesse in ihrer aktuellen Form dafür dauerhaft geeignet ist, wage ich zu bezweifeln. Wenn wir Print und Digital in Zukunft allerdings doch weiterhin zusammen präsentieren wollen, treffen wir uns demnächst vielleicht auf der Lese- oder Content-Messe.

das Twittagsüppchenorakel
das Twittagsüppchenorakel

Aber zurück zum Status Quo: Keine Buchmesse ist perfekt ohne ein Twittagessen, dem Treffen der Online-Gemeinschaft der Branche. So ließ ich mich gemeinsam mit anderen Onlinern am Freitagmittag erst mit Buchstabensuppe von der Frankfurter Buchmesse beim inoffiziellen Twittagessen verköstigen, um danach – ausnahmsweise gesättigt – zum eigentlichen, offiziellen Twittagessen in der Eingangshalle zu flitzen. Leider habe ich durch dieses Hopping ein paar mir liebe Twitterer verpasst; aber die, die ich noch angetroffen habe, halfen mir mit vielen Gründen zum Freuen über diesen Schmerz hinweg.

Natürlich gehören zu so einer ordentlichen Buchmesse neben beruflichen Terminen auch ein paar Lesungen. Meine beiden Highlights – und leider die einzigen, die ich mir gezielt und bis zum Ende angehört habe – waren Jannis Plastargias, der sehr sympatisch seinen Jugendroman Plattenbaugefühle vorstellte, und Göran Rosenberg, der beim Nordischen Forum in wunderbarstem (und verständlichem, hah!) Schwedisch von seinem Buch Ein kurzer Aufenthalt erzählte. Ich dachte eigentlich, ich sei mit Büchern über die Zeit des Nationalsozialismus vorerst durch, aber Rosenbergs schwedische Perspektive darauf könnte mich doch wieder verführen.

Der Messesee lud letztes Jahr tatsächlich zum Baden ein.
der Messesee, in diesem Jahr gar nicht einladend

Aus neuem beruflichen Interesse und alter Nostalgie ließ ich mich eine ganze Weile durch den Teil mit den Pädagogik- und Schulbuchverlagen treiben. Dabei begegnete ich u.a. erstaunten Lehrern, die fasziniert auf die Präsentation eines Smart Boards starrten. Was mich wiederum faszinierte. Ebenso wie die bunten, schrägen oder extra-spießigen Cosplayer, die sich tatsächlich bei diesen eisigen Temperaturen ohne Schuhe und bauch-, arm-, beinfrei vor die Tür wagen. Im Menschengedränge des Wochenendes war die Promi-Dichte auch wieder erstaunlich hoch und man wundert sich, wer so alles ein Buch schreiben (lassen) kann. Als ich mich Samstagnachmittag mal kurz  auf eine Bierbank setzte, um einer Branchenkollegin beim Essen zuzuschauen, setzte sich einfach Herr Gysi nebendran. Tse. Niemals kann man seine Ruhe haben.

Das Wichtigste bei dieser Messe waren wieder die vielen tollen Begegnungen und die Gespräche mit den anderen Verlagis, bei denen neben all der Herzlichkeit für mich auch immer ein bisschen Zukunftsmusik mitspielt. Das alte Vorurteil stimmt natürlich auch wieder in diesem Jahr: wir feiern uns auf diesen Messen selbst, klopfen uns gegenseitig auf die Schulter und versichern uns, wie toll wir sind. Sind wir ja auch. Ich habe den Eindruck, dass die Erkenntnis, dass Kopf in den Sand stecken nichts nützt und dieses Internet nicht so bald wieder vorbei gehen wird, langsam aber stetig um sich greift und sich der fette Branchen-Pott in Richtung Innovation dreht. Oder liegt es wieder nur an der selektiven Auswahl der Menschen mit denen ich mich umgebe? Fakt ist: Die Buchbranche befindet sich – mehr oder weniger dagegen ankämpfend – weiterhin in Bewegung. Und es bleibt spannend. Mindestens bis Frankfurt.