Warum ich über Trauer blogge

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Hättet ihr mich vor einem Jahr gefragt, ob ich jemals Gefühlsstriptease im Internet begehen würde, hätte ich euch wohl nur mit hochgezogener Augenbraue angestarrt und irgendwann „Und warum sollte ich sowas tun?“ zurückgefragt. Jetzt sieht das anders aus: Seit Anfang des Jahres schreibe ich hier immer mal wieder über meine Trauer. Und auch wenn es mir selbst manchmal zu viel zu werden droht, habe ich mir das gut überlegt.

Wie bereits erwähnt, finde ich, dass Tod mitten ins Leben gehört. Euch mit meiner Trauer zu verschonen, fände ich daher falsch, weil es eine Chance verbauen würde, uns die Endlichkeit in Erinnerung zu rufen, die ich als lebensbereichernd und lebensvertiefend empfinde. Das wichtigste Thema meines Lebens hier auszusparen, wäre nicht nur unfair meiner Schwester gegenüber; Es wäre vor allem unfair mir selbst gegenüber. Und ich wäre wohl vor lauter Selbstzensur ganz verstummt, hätte ich nicht darüber schreiben können, was bei mir gerade dran war.

Über meine Trauer zu bloggen hatte außerdem den positiven Effekt, dass ich, wenn ich vertraute Menschen zum ersten Mal in diesem Jahr wieder getroffen habe, nur sagen musste: „Mein Jahr war bisher ziemlich beschissen.“ Und sie nur sagen mussten: „Ich weiß.“ Keine weiteren Vorerklärungen, keine Beileidsbekundungen nötig, zu denen ich manchmal auch nicht die Kraft gehabt hätte. Wir konnten gleich beim Wesentlichen ansetzen oder weitermachen und ich habe viel über diese Menschen gelernt. Das tat gut.

Als mein Stiefvater vor einigen Jahren starb, ließ mich eine damalige „Freundin“ in dieser schweren Zeit alleine. Als ich sie darauf ansprach, sagte sie mir, dass es sehr anstrengend gewesen sei, in der Woche nach seinem Tod mit mir zu telefonieren (ich hatte sie angerufen, um den ersten Schritt zu machen) und dass ihr das echt keinen Spaß gemacht habe, sie also auch keine Lust auf eine Wiederholung gehabt hätte. Das war eins unserer letzten Gespräche. Und ich muss gestehen: Ausgerechnet bei dieser Frau war ich nicht darauf vorbereitet gewesen.

Das ist jetzt anders: Ich habe offensichtlich an Menschenkenntnis gewonnen in den letzten Jahren oder meine Freunde unbewusst sorgsamer gewählt. Sie sind nicht alle starke Superhelden, die stets mit den richtigen Worten und Taschentüchern bewaffnet sind; Es gibt auch einige, die mit der Situation komplett überfordert sind. Und das ist okay, denn sie sind mutig genug, sich mir und meiner Trauer trotzdem zu stellen.

Einer meiner Freunde sagte mir neulich, als wir mal wieder auf das Thema kamen, dass „die Situation“ für ihn auch nicht leicht gewesen sei, weil er keine Ahnung gehabt habe, was er tun oder sagen sollte. Auch wenn ich lachen wollte: „Alter, glaubst du etwa, für mich ist das hier leicht?!?“, ging mein Herz auf: Ich weiß seine Ehrlichkeit und seinen Mut sehr zu schätzen. Sie bauen eine Brücke zwischen uns.

Ich habe in den letzten Monaten viele Brücken gebaut. Mein Blog hat mir dabei geholfen. Die Welt ist nicht voller Superhelden; Es gibt auch die, die beschützt werden müssen. Und selten ist jemand immer nur das Eine oder das Andere, sondern in uns allen liegen die Fähigkeiten zu beiden Rollen. Mut ist eine Entscheidung.

Dazu möchte ihn euch ermutigen: Traut euch, der Trauer und dem Tod ins Gesicht zu sehen! Verschließt nicht eure Augen und Herzen, nur weil ihr euch nicht stark genug fühlt. Lasst nicht zu, dass der Tod eine Mauer um die Lebenden baut. Das Leben ist so viel tiefer, höher, bunter für alle, wenn ihr in die Schluchten des Todes hinabseht und lernt, die Dunkelheit der Trauer auszuhalten.